Fahrbericht Stumpjumper FSR Comp Carbon 6Fattie

Rückblick: 1981 kam das Specialized Stumpjumper – erstes Großserienmodell - auf den Markt. Die konsequente Weiterentwicklung hielt das legendäre Touren-Fully permanent up to date. Mit dem neuen 27,5+ bzw. 650B Plus Laufrad-Format hat Specialized dem ältesten Mountainbikemodell der Welt eine Frischzellenkur verordnet und damit das Stumpjumper quasi neu erfunden. Nach 26', 26' Fatbike, 27.5' und 29' kommt kommt nun 6Fattie wie Specialized seine 27.5' Plus-Bike-Modelle nennt.

Wie schon in den Anfängen zur Twenty-Nine-Ära agiert Specialized beim 27.5' Plus Standard abermals als wegweisender Trendsetter. So haben die Kalifornier das Stumpjumper FSR 6Fattie in 4 Ausstattungsvarianten sowie das Damenmodell Rhyme FSR 6Fattie in 3 Varianten im Portfolio. Dazu erscheint im Frühjahr 2016 mit dem Turbo Levo FSR 6Fattie ein echter E-Bike-Knaller am Markt. Unabhängig davon wird es das klassische 29" und 27,5“ Stumpie mit herkömmlicher 2.3 Zoll Bereifung weiterhin geben. 

Mancher Hersteller scheint den Zug der Zeit ein wenig verschlafen zu haben bzw. haben den Breitreifentrend unterschätzt. Deshalb tröpfeln etliche 27.5 Plus-Modelle erst in der laufenden Saison 2016 auf den Markt oder erscheinen erst im darauffolgenden Jahr.

Lange bevor das brandneue Stumpjumper FSR Comp Carbon 6Fattie beim Bike-Händler im Laden steht, durften wir exklusiv einer der ersten Exemplare im Trail-Terrain des Vorderen Bayerischen Waldes, dem Fichtelgebirge und der Tegernsee-Schliersee-Region auf Herz und Nieren testen. Soviel vorweg: wir waren über die superben Fahreigenschaften wie z.B. das verspielte Handling hellauf begeistert. 

Unscheinbar kommt das Gerät nicht gerade daher, denn die ungewohnt voluminösen Walzen schinden tierisch Eindruck und verfehlen ihren Hingucker-Effekt nicht. Macht es doch richtig breite Backen was vor dem Hintergrund der 3 Zoll Schlappen und neuen Boost-Standard mit Achslängen 110 x 15 / 148 x 12 mm natürlich außerordentlich sinnfällig ist. Schmalhans war bei dem wuchtigen Trail-Chassis und überdimensionaler Bereifung von 27,5“ x 3.0 wahrlich nicht Küchenmeister. Neugierige Blicke vermuteten - frei nach nach Wolfgang Goethes Ballade - „Wer reitet so spät durch Nacht und Wind" einen verkappten Erlkönig. 

Gib Gas, ich will Spaß

Nachdem Federgabel, Dämpfer (Autosag), Sitzposition und Reifenluftdruck auf den Fahrer eingestellt waren, wurde der Breitbeinbolide volle Kanne auf Bayerwald- und Fichtelgebirg- Trails sowie im schroffen Felsgelände der oberbayerischen Alpenregion hart ran genommen. Bekanntlich täuscht der erste Eindruck nicht. Will heißen, dass sich jeder Testfahrer ohne umständliche Eingewöhnungszeit in punkto Fahr- und Sitzfeeling auf Anhieb pudelwohl fühlte. Insofern überraschend, weil noch keiner Erfahrung mit dem Neuheiten-Modell geschweige mit der ungewohnten Plus-Bereifung voweisen konnte.

Kaum waren die ersten Trailpassagen locker flockig durchtänzelt setzte Dauergrinsen ein und machte somit den erlebten inneren Glückszustand für jedermann sichtbar. Der Clou: trotz 3.0 Zoll-Low-Pressure-Walzen wird die Wendigkeit und Verspieltheit des Bikes erstaunlich wenig beeinflusst. Dieses "Aha-Erlebnis" war DIE Überraschung überhaupt, da die optische Wuchtbrumme im krassen Gegensatz zu den agilen Fahreigenschaften stand. Auf einen Schlag waren "Ja- Aber- Vorbehalte" wie weggeblasen. Keine Spur von gewöhnungsbedürftigem Fahrverhalten die den Fahrer zur Umstellung seines Fahrstils zwang. Die integrierte, aufrechte Sitzposition i.V. mit dem 750 mm breiten Lenker vermittelt mit leicht angewinkelten Armen ein erhabenes Gefühl bestechender Kontrolle. Unkomplizierter geht's nicht: Draufsitzen, Loskurbeln, Wohlfühlen, Spaß haben. Besonders das verspielte Handling in Verbindung mit der bombastischem Traktion überzeugte voll und ganz.  

Die Ruhe vor dem Sturm

In der Gruppe fahrend lässt sich die Dramaturgie in 3 Akte zusammenfassen: als 27.5 Plus- Exot schwimmt man im flachen/hügeligen Gelände im Schwarm konventioneller Bikes unauffällig auffällig mit. Im Uphill heißt es Arschbacken zusammenkneifen und einige Watt mehr auf's Pedal drücken. Geht es in die Abfahrt folgt die Paradedisziplin, wo man dem Trailbike unbekümmert die Sporen geben kann. Remote-Hebel der Sattelstütze drücken, variable Druckstufen-Einstellung der Fox Federgabel und des Fox Stoßdämpfers justieren - schon sind die Systeme scharf gestellt. Wieselflink durch die Kurven shredden und radikal durchs Gebälk huschen ohne auch nur annähernd den Grenzbereich anzutasten - Glücksmomente die das 6Fattie dem Piloten am laufenden Band beschert. Die Wahrscheinlichkeit seitlich abzurutschen, in fiese Wasserrinnen einzufädeln oder im Morast stecken zu bleiben wandert gen Null. Adrenalinfördernde Schreckmomente, die bisher für Schweißperlen auf der Stirn sorgten sind passé. Erst recht wenn's schmierig und rutschig wird, denn dann zückt der 6Fattie-Fahrer cool seinen Traktions-Joker und zeigt der "Schmalspur-Fraktion" ohne mit der Wimper zu zucken wo der Hammer hängt.

Das Gesamtkonzept macht die Musik

Bergauf eher unscheinbar in der Entfaltung blitzen in den Trail-Abfahrten dafür umso mehr ungeahnte Qualitäten auf, die man diesem Monster von Bike nicht zutraut. Ein Höchstmaß an Traktion, gepaart mit extremer Fahr- und Spurstabiltiät sowie Grip jenseits von Gut und Böse suggeriert in jeglicher Hinsicht Souveränität. Selbst lustbetontes Powerbolzen vermag den verwindungssteifen Rahmen und die perfekt aufeinander abgestimmte Feder- und Dämpfereinheit nicht um die Bohne aus der Laufruhe bringen.

Längerer Frontrahmen, flacherer Steuerwinkel, kürzere Kettenstreben, tief liegendes Tretlager sind die Rezeptur die das "Dickschiff" agil machen, was man bei bloßer Ansicht ganz und gar nicht vermutet. Dazu der verbreitere Boost, der die Steifigkeit der Laufräder erhöht. In der Summe gravierende Eingriffe in die Geometrie die zeigen, dass nicht nur breitere Laufräder ohne rahmengeometrische Modifikationen plump in ein klassisches 27.5' "Gestell" gesteckt werden, sondern sehr wohl ein durchdachtes Gesamtkonzept dahinter steckt. Neben der überraschenden Wendigkeit gesellt sich ein ausgesprochen smoothes Überrollverhalten von Hindernissen dazu die man von den TwentyNinern wegen ihre flacheren Aufprallwinkels her gewohnt ist. Schläge von knochigen Wurzelteppichen, Absätzen, Querrinnen und Felsbrocken werden effizient herausgefiltert. Das geschmeidige Abrollverhalten ist auf das erhöhte Reifenvolumen wie niedriger Luftdruck zurückzuführen, das spürbar mehr Kontrolle bringt. Die Krönung des ganzen: das größere Luftvolumen der Reifen absorbiert Vibrationen und hochfrequente Schläge bevor die Federelemente ansprechen. Ab und an wurde vor Trailabfahrten im Eifer des Gefechts vergessen, die Druckstufen-Einstelloption der Gabel / Dämpfer von firm (starr) auf open bzw. medium zu drehen. Schon fast zum "Hohn" gegenüber den Federelementen wurde das alzheimerische Missgeschick manchmal nicht während der Trailabfahrt sondern erst nach dem Touch Down im Tal bemerkt was beweist, welch unglaubliches Dämpfungsvermögen die Reifen besitzen.

Dank anschmiegsamer Niedrigdruck-Reifen sowie butterweichem Ansprechverhalten der Feder- und Dämpferelemente werden ruppige Geröll- und Wurzelpassagen im Handumdrehen supergeschmeidig glattgebügelt. Eine Tatsache die nicht nur Rücken- und Bandscheibengeschädigte freuen dürfte. Ohne Rumpel- Humpel- Schüttelstöße bringt die Sänfte den Fahrer nicht nur sicherer sondern auch entspannter ans Ziel. Der weichgespülte Fahrkomfort erreicht ein bisher noch nie dagewesenes Schwebebahn-Feeling.

Vom gutmütigen Fahrverhalten profitieren in erheblichem Maß auch ungeübtere Biker. Überhaupt gleicht ausgereifte Fahrwerkstechnik moderner Mountainbikes fahrerische Defizite zumindest teilweise aus, wodurch schwierigeres Terrain beherrschbarer wird. Wenn es auch die wenigsten Biker an die große Glocke hängen, so nutzt doch jeder insgeheim liebend gerne technische Vorteile, die das fahrtechnische Vermögen verbessern und ihn easy, sicher und komfortabel Schlüsselstellen bewältigen lässt. 

Ob rauf oder runter, die exakte Fahrlinienwahl gerät bei der überschwenglichen Traktion zur Nebensache mit der Folge, dass unangestrengtes Fahren weniger Konzentrationsfähigkeit erfordert und demensprechend den Ermüdungsprozess hinauszögert. Über die Fahrstabilität und das spielerische Handling des Fahrwekrs kann man in Anbetracht der klobig wirkenden "Fat-Bereifung" wirklich nur staunen. Ein Lob an die Konstrukteure: You made a good job! 

Auf flowigen Abfahrten schlägt die Stunde der Wahrheit. Wie auf Schienen folgt das Bike artig und reaktionsschnell den schwerpunktorientierten Einsatzbefehlen. Das spurneutrale Fahrgefühl lässt nicht der Hauch unterschwelliger Angst hochkommen, dass womöglich die Kontrolle flöten gehen könnte. Wohlwissend ein gutmütiges Sorglos-Gerät unter dem Allerwertesten zu haben verschmilzt der Fahrer mit seinem Material schneller zu einer bewusstseinsfernen Einheit als er denkt. Bester Nährboden um sich unbekümmert in eine Flowphase hinein zu manövrieren und berauschend in die Sphären höchster Glücksgefühle abzudriften. Außergewöhnliche Fahrerlebnisse brennen sich nach neuronaler Erdung wohlweislich in die Hirnwindungen - sprich Bewusstsein - ein und stärken das Selbstvertrauen. Insofern ist an der Werbeaussage von Specialized schon was dran, dass das Stumpie FSR 6Fattie das Trail-Erlebnis auf's nächste Level pushen soll. 

Je anspruchsvoller das Terrain, desto ausgeprägter kommen die Laufeigenschaften der wulstigen Reifen zur Geltung. Der grobstollige <Purgatory> (vorne) besticht mit ausgezeichneter Traktion und Grip. Aufgezogen auf der hauseigenen Roval Traverse 650b-Felge mit 29 mm Innenbreite (Carbonfelge 30 mm) verfügt der Reifen ausreichend Seitenstabilität und läuft seiner runden Form wegen ohne aufzumucken wie von selbst in die Kurven hinein. Neutrales Einlenkverhalten - frei von nervöser Kipp-Tendenz oder störrischer Geradeauslaufneigung - gewährleistet ein agiles Handling mit dem eine saubere Kurvenlinie selbst bei radikaler Fahrweise zum Kinderspiel wird. Mit verantwortlich ist die sehr kompakte Rahmengeometrie, die rasche Richtungswechsel erleichtert. Auffällig das Reifendesign, bei dem die Stollentiefe von außen zur Reifenmitte hin stark abnimmt. Die Stollen des <Ground Control> sind im Bereich der Lauffläche kleiner, jedoch so eng anliegend angeordnet (hoher Positivanteil), dass fast ein durchgehender Mittelsteg entsteht. Dies beschert dem Antriebsreifen verminderten Rollwiderstand. Trotz Leichtlaufeigenschaften verlor der Antriebsreifen auf giftig steilen Wurzel-Uphills seine Traktion nicht. Abgesehen von der Lastverteilung zugunsten des Hinterradreifens gibt der geringe Luftdruck zwischen 0.9 - 1.2 bar (13-17 PSI) mit großer Reifenaufstandsfläche noch eins oben drauf, indem sich die Stollen wie Widerhaken in den Untergrund beißen und die Pedalkraft ohne Schlupf auf den Boden bringen. Eines ist sicher: testet man bergauf nicht gerade das Drehmoment auf einer glitschigen Wurzel, dann geht einem höchstwahrscheinlich der Saft aus bevor der Antriebsreifen Anstalten macht durchzudrehen.  

Mit der Leichtigkeit des Seins verleitet die "Semi-Fat-Maschine" zu ungezwungener, spielerischer Fahrweise. Euphorische Lusthüpfer, Drops und flüssige Schlangenlinien von Anlieger zu Anlieger beweisen, in welcher Weise die ausgetüftelte Trailgeometrie den ungehemmten Spieltrieb weckt. Da kann's schon passieren, dass der Trail aus purer Fahrlust heraus spontan zur Showbühne wird.

Am Beispiel der Bremskraftübertragung zeigt sich, welch Sicherheitspotential Bremsen und Reifen verfügen. Die Shimano Deore Stopper packen gut dosierbar und wenn es sein muss auch bissig zu. Entscheidend ist jedoch, ob bzw. mit welcher Vehemenz der Vorderradreifen brachiale Bremskräfte rutschfrei auf den Boden bringt. Breite Aufstandsläche und niedriger Luftdruck der Reifen sowie die perfekt ansprechende Fox 34 Float 27.5+ Federgabel mit 150 mm Hub sind jedenfalls für scharfe, kontrollierte Bremsmanöver gewappnet. Mit dem erfreulichen Ergebnis, dass sich der Bremsweg verkürzt. Ein Vorteil den man immer gut gebrauchen kann wenn's kritisch wird. In brenzligen Situationen kann deshalb der Wurfanker bedenkenloser geworfen werden als mit schmälerer Hochdruck-Bereifung deren schmaler Grat des Grenzbereichs ohne "Ansage" erreicht/überschritten wird.

Fühlt schmieriger Untergrund, glitschige Wurzeln und sonstiger Naturzierrat auf Uphills der Traktion auf den Zahn streckt der Breitbein-Bolide nicht die Flügel. Ganz im Gegenteil, hier fühlen sich die anschmiegsamen 3.0 Zoll Gummis in ihrem Element, das Gewichtshandicap ist im Nu kompensiert. Schlamm, Schnee, Matsch - bei fiesen Bodenverhältnissen klettert das 6Fattie solange unbeirrt den Berg hinauf bis man schlapp macht. Als limitierender Faktor zählt im steilen Gelände die Kraftausdauer bzw. das Übersetzungsspektrum des 11 fach Ritzelpakets - doch keinesfalls der Reifen.

Dasselbe gilt bergab oder in technischen Flachpassagen. Während die einen in der Nässe verkrampft rumeiern, fräst der Fattie-Fahrer im grünen Bereich ungezwungen über Stock und Stein - Grins. Wenn man so will eine Spezialdisziplin, die Schlechtwetter- bzw. Wintersaisonbiker in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft trennt: die "Plus-Klasse" gegen den Rest der Welt.

Einsatzzweck-Grenzen

Klar ist, dass jeder Biker seine Schwerpunkte setzt, weshalb man selbst ausloten muss, ob die Grenzen des Einsatzzwecks überschritten werden und womöglich eine andere Bike-Gattung in Frage kommt. 

Was das Stumpjumper FSR Comp Carbon 6Fattie weniger mag sind Haarnadelkurven und trialartiges Gelände wo es tricky wird. Dort zollt das höhere Systemgewicht der Laufräder seinen Tribut und erfordert aktiven Körpereinsatz wie optimale Körperspannung um das Gleichgewicht zu halten. 

Das 13.6 kg (o.P.) leichte FSR Comp Carbon klettert erstaunlich gut die Berge hoch, wofür die Getriebeübersetzung mit der SRAM GX1 1x11 (28 er Blatt / 10-42 Kassette) Sorge trägt. Kürzere Rampen sind machbar. Anders schaut es bei längeren giftig steilen Anstiegen aus, wo der Fahrer sichtlich Mühe hat das 6Fattie kraftvoll nach oben zu wuchten. Reicht das 28 er Blatt nicht mehr für eine ökonomische Trittfrequenz aus, zehrt es unweigerlich an den Kraftreserven. Hier zollt der Entfaltungsbereich einer 11-fach-Schaltung Tribut. Je nach konditioneller Fitness bestimmt das gegebene Übersetzungsspektrum wie immer den grenzwertigen Bereich. Im übrigen lässt sich das Getriebe mit Ersatz-Kettenblätter variabel abstimmen. 

Bei sehr radikaler Fahrweise durch Anlieger oder starken Kompressionen trat leichtes Walken der Reifen auf. Diese Eigenart beruht auf (zu) niedrigem Luftdruck, weswegen höherer Luftdruck bis zu einem gewissen Grad Abhilfe schaffen kann. Die benötigte Kraft für das Walken des Reifens ist eine Komponente des Rollwiderstandes und wirkt der Antriebskraft entgegen.

Bei sportlichen Wettbewerben wird man mit dem "Luftikus" keinen Blumentopf gewinnen, weil im Fahrtenbuch statt Race-DNA Komfort, Traktion und Beherrschbarkeit geschrieben stehen. Dem beigeisterten Fattie-Fahrer steht aber normalerweise der Sinn sowieso nicht nach Challenge und effizienz-gesteigerten Sekundenjagden sondern vielmehr danach, seine eigenen technischen Grenzen mit Genuss und Spaß auszuloten und zu erweitern. Die Maxime liegt auf Kontrolle, Sicherheit und Komfort. Für Cross-Country- oder Marathoneinsätze wo ein federleichter kompromissloser Antritt zählt, ist das 6Fattie allenfalls nur zweite Wahl - dafür wirft Specialized seine spritzigen Epic-Modelle in den Ring die schon x-Weltmeistertitel einfuhren. Je nach Leistungsvermögen ist mit der serienmäßigen Übersetzung zwar ein Tempo über 30 km/h möglich, doch für's Tempobolzen auf hartem Untergrund bzw. hindernisfreien Schotterbahnen fordert der Breitbein-Bolide einige Körner mehr an Leistung. 

Beschleunigungswunder darf man bei 13.6 kg Gesamtgewicht und die Massenträgheit der Laufräder nicht erwarten, doch dafür wurde das 6Fattie auch nicht konzipiert. Die etwas schwereren Laufräder sollten aber nicht überbewertet werden, weil sich das Gewichtshandicap hauptsächlich bei Beschleunigung bzw. bergauf bemerkbar macht während der verminderte Rollwiderstand der Niedrigdruck-Breitreifen permanent wirkt. Fakt ist: rotiert die Schwungmasse der Wuchtbrummen erst mal wie Turbinenschaufeln ist im Vergleich zu schmäleren Pneus kein höherer Rollwiderstand spürbar - ganz im Gegenteil (Ausnahme Asphalt). Die Körner die man auf zähen Uphills mehr verbrennt, spart man an anderer Stelle durch den Fahrkomfort auf Abfahrten und leichteren Hindernisbewältigung wieder ein. Tourentauglich ist das <Big-Food-Bike> allemal, ohne bei harmonisicher Fahrweise behäbiger zu wirken als konventionelle Schmalspuraspiranten. Geschmeidiges Fahrverhalten, hohe Sicherheitsreserven und kräfteschonender Fahrkomfort senken den Energieverbrauch was der Ausdauerleistungsfähigkeit zugute kommt.

Reifenluftdruck

Der Reifenluftdruck ist ein besonderes Kapitel, weil die voluminösen Reifen äußerst sensibel auf zuviel oder zu wenig Luftdruck reagieren. Je nach Einsatzzweck liegt der Bereich zwischen 0.8 und 1.2 bar (Obergrenze  1.5 bar). Gute Erfahrungen machten wir auf vorwiegend mittelschweren (Wurzel-) Trails mit 1.0 bar vorne und 1.2 bar hinten.

Fest steht: bereits kleinste Druckänderungen im Zehntel-Bar-Bereich vermögen das gesamte Fahrverhalten des Bikes zu beeinflussen - negativ wie positiv. Wegen der Pannenanfälligkeit (geringer Luftdruck, gewichtsoptimierte Karkasse) macht Tubeless Ready für 27.5' Plus Reifen absolut Sinn. Der Schlauchersatz durch doppelseitiges Klebeband, Felgenband, Tubeless-Ventil und Tubeless-Milch bringt eine Gewichtsersparnis von 350 g je LR-Satz. 

Auch wenn breite Reifen die Performance im Vgl. zu schmäleren Reifen überproportional verändern, wurde der vom Fatbike her bekannte "Self-Steering-Effekt" (durch Geradeauslaufneigung verursachte Einlenk-Kraftmehraufwand) von keinem Testfahrer bemängelt. Ebenso wenig trat Bouncing (luftdruckabhängiges Reifen-Hüpfen) auf, vorausgesetzt der vom Hersteller angebenene Luftdruck von max. 1.5 bar wird nicht überschritten. Bouncing ist rein theoretisch kaum ein Problem, da Fullys - im Gegensatz zu Fatbikes - vollgefedert sind. Weiteres zum Thema Luftdruck Bereifung von 27,5“ x 3.0

Traditionelles Gattungsschema wird gesprengt

Nach dem traditionell bekannten Gattungsschema der Mountainbikes von Hardtail, Race- Marathon- und Tourenfully, All-Mountain, All-Mountain Plus, Enduro, Freeride und Downhill lässt sich das Specialized Stumpjumper FSR 6Fattie schwerlich kategorisieren. Handelt es sich nun um ein Tourenfully, All-Mountain oder Enduro-Bike? Weder noch, weil sich das 6Fattie aus allen 3 Sparten bedient und damit seinen breitbandigen Einsatzzweck erklärt. Vor allem die neuen "Plus-Laufräder" lassen die Abgrenzung der Kategorien noch mehr verschwimmen. Der Begriff "Trailbike" (Massenprodukt/Volumenmodell) gibt zwar im Kern den Einsatzzweck wider, lässt sich aber wegen der Unschärfe nach dem obigen Schema trotzdem nicht "artgerecht" zuordnen. Mit aktuell 5 Laufradstandards wird eine Klassifizierung zunehmend schwieriger und die Orientierung für Kunden immer undurchsichtiger. Das ein und dasselbe Modell verändert mit unterschiedlichen Laufradgrößen grundlegend seinen Fahrcharakter wie ein Chamäleon seine Farbe. Die nebulöse Klassifizierung und Vielfalt der Optionen macht es kaum noch möglich den Durchblick zu bewahren. 

Das robuste Trail-Chassis, langhubiger Federweg, dem über eine 6 Pack-Umlenkung angesteuerten Dämpfer und die robuste 15 mm Steckachse verbergen ihre ENDURO-Anlagen nicht. Somit vollzieht das Stumpie FSR 6Fattie einen Spagat, indem das Trailbike unterschiedlichste Anforderungen gerecht wird ohne sich auf der anderen Seite groß Schwächen zu leisten. Die Bike-Family erfährt eher Zuwachs als dass sich die "Fattie-Klasse" in das rigide Gattungsschema pressen lässt. Man soll ja bekanntermaßen Äpfel nicht mit Birnen vergleichen, von daher würde ein eigenständiges "650B Plus-Segment" Sinn machen, zumal Specialized allein in dieser Kategorie 4 Modellvarianten anbietet und die Konkurrenz für 2016 / 2017 mit einer Flut an Modell-Neuheiten in den Startlöchern steht.

Joe Buckley, Specialized Produktmanger prophezeit, dass 90 % der Neukunden nicht mehr auf 29 Zoll wechseln werden. Nachtigall ich hör dich trapsen...., ob das wohl der Anfang vom Ende der TwentyNiner einläutet?  Eher unwahrscheinlich, dass die 29'- Ära zu Grabe getragen wird, wenngleich ein geschrumpftes Nischendasein nicht auszuschließen ist. Zumindest ambitionierte Racefreaks aus dem CC-und Marathon-Sektor werden aller Voraussicht nach weiterhin auf TwentyNine setzen.

Einen aufschlussreichen Testvergleich bringt das ENDURO Mountainbike Magazine mit seinem "Apfel-Birnen-Vergleichstest" (November 2015, Ausgabe 019). Ganz untypisch werden hausinterne Bikemodelle unterschiedlicher Laufradgrößen (27.5', 27.5' Plus, 29) der Marken Specialized (Stumpjumper Expert Carbon 650B vs. Stumpjumper Expert Carbon 6Fattie), Scott und Stevens miteinander verglichen.

Spezifikation

Das Trail-Chassis besteht aus einem steifen, leichten Rahmen (FACT 9m Karbon). Alle FSR 6Fattie-Modellvarianten verfügen einen Hinterbau aus M5 Aluminium. Die ausgewogene Trail-Geometrie garantiert ein wendig flinkes Handling, wofür sich der längere Frontrahmen, ultrakurze Kettenstreben und flacher Steuerwinkel verantwortlich zeichnen.

Die Specialized-FSR-Technologie basiert auf entkoppelte Antriebs- und Bremskräfte von der Dämpferleistung. Damit beeinflussen Kräfte die auf Kette und Bremse wirken weder Dämpfer noch Federung. Frei von störenden Antriebskräften wird die Pedalkraft mit hohem Wirkungsgrad direkt in den Vorwärtstrieb gelenkt, d.h. Wipp- und Rückschlagseffekte gibt es keine. 

Integrative Lösung: das SWAT-Konzept (nur bei Carbon-Modellen) wurde konsequent weiterentwickelt. SWAT steht für Storage, Water, Air und Tools. Der Flaschenhalter besteht aus einem Klapp-Mechanismus der Zugang zum Stauraum für Ersatzschlauch, Mini-Tool, Pumpe, Proviant, Regenhaut etc. bietet. Die mitgelieferte Neopren-Hülle gewährleistet einen geschützten und geräuschlosen Transport. Entwickler-Ingenieure haben erstklassige Arbeit, denn die Rahmenstabilität wird durch den Hohlraum in keinster Weise beeinträchtigt. 

Weniger ist mehr. Das spartanisch wirkende Cockpit kommt auf dem 750 mm breiten Lenker aufgeräumt daher. Kein Hebel-Schnickschnack - kein Kabelsalat (innen verlegte Bautenzüge). Dort wo üblicherweise der Umwerferhebel sitzt, befindet sich nun der ergonomische Bedienhebel für die Vario-Sattelstütze.

 

 

 

Äußerlich hat sich die 2016 er Vario-Sattelstütze Command Post IRcc kaum verändert. Doch das Innenleben wurde komplett runderneuert. So bietet die Sattelstüzte auf 125 mm Versenkbarkeit 12 definierte Rasterpositionen. Der patentierte, vielstufige Arretierungsmechanismus mit Cruise Control Technologie (Feinrasterung) sorgt für sichere Fixierung. Das Zweifach-Passnut-System vermeidet nervendes Sattelspiel. Direkt unter der Sattelklemmung befindet sich ein Ventil, über das die Ausfahrgeschwindigkeit der Stütze reguliert wird.

 

 

 

 

 

Die Fox 34 Float 27.5+ Federgabel mit 150 mm Hub mit einem 10 mm verbreiterten Achsstandard (110 mm) wird mit stabiler 15 mm Steckachse geklemmt. 3 wählbare Druckstufen erlauben eine einsatzoptimierte Anpassung. Feder-Performance: die Kennlinie fühlt sich prima an, bei der die Gabel mit ihren 34 mm dicken Standrohren harmonisch durch den Hub geht bis sie zum Schluss hin progressiv anspricht.

Der neu entwickelte Fox Float Performance DPS-Stoßdämpfer mit zwei Luftkammern im Gehäuse bietet ebenfalls drei Druckstufen-Einstelloptionen: open, medium, firm. Die zusätzliche Negativkammer deckt den breiten Einsatzbereich von Tour bis Enduro ab. Mit dem <Rx Trail Tune> ( "Rx": recommended experience) wurde der Dämpfer perfekt auf Trail-Einsatz abgestimmt. Kennlinien, Volumen und Aufbau wurden optimiert um ein geschmeidiges wie effizientes Fahrgefühl zu erreichen, bei dem jeder Millimeter Federweg ausnutzt wird. Das Setup des Custom Fox-Float-Factory-DPS-Hochleistungsdämpfers (135 mm) funktioniert dank AUTOSAG (automatische Einstellung des Negativfederwegs) unkomplziert und präzise. Dämpferdruck auf ca. 15 bar erhöhen, draufsitzen und Luft über das Überdruckventil ablassen - fertig. Schon kann das ultimative Trail Riding beginnen.

Laufradsatz-Systemgewicht beträgt 4 275 g  
Reifen Purgatory Control (vorn)       980 g
Reifen Ground Control (hinten) 1 045 g
Laufradesatz Roval Traverse Fattie 650b 1 690 g
2 Schläuche  a 280 g         560 g      

Gewichtsoptimiertes Tuning dürfte beim 6Fattie eher zweitrangig sein, dennoch gibt es die Option leichter Carbon-Laufräder. Diese reduzieren nicht nur die kinetische Energie welche in der Vorwärtsbewegung steckt, sondern vermindern zusätzlich die Rotationsenergie. Je geringer die rotierende Masse desto flinker beschleunigt die Fuhre beim Antritt. Einziger Haken: der hohe Preis. Der Specialized Roval Traverse SL Fattie 650b Carbon-Laufradsatz (1530 g) kostet ca. 1 600 €. Dabei beträgt der Gewichtsvorteil gegenüber den Alufelgen überschaubare 160 g (Fahrergewicht-Limit 108 kg).

Schlauchlos-Umrüstkit für Carbon-Felgen: Specialized entwickelte eine clevere Alternative die das Felgenband bzw. Felgentape ersetzt: die Felgen sind mit dem Roval “Tubeless Plugs” (Schlauchlos-Stöpsel) kompatibel. Kunststoff-Stöpsel werden in die Öffnungen der Speichennippel in die Felgen rein gesetzt (Gewichtsersparnis von 45 g je LR-Satz).

Das sündhaft teuere S-WORKS rollt zwar bereits serienmäßig auf edlen Carbon-Felgen, trotzdem dürfte das High-End-Bike für die meisten wohl ein Wunschtraum bleiben.

Persönliche Anmerkung: wer Carbon-Felgen in punkto Haltbarkeit / Widerstandsfähigkeit skeptisch eingestellt ist sollte wissen, dass mein Roval Carbon-LR-Satz fünf Ganzjahres-Saisonen unter teilweise härtesten Bedingungen (u.a. Hobby-Rennen wie z.B. Tegernsee-Marathon) mit 1 Speichenabriss hinter sich hat. Bei der Laufleistung von 35 000 km weisen die Seitenflanken zwar unübersehbare Gebrauchsspuren auf, doch rollen tun sie indes bis zum heutigen Tag tadellos. 


Modellvarianten

Das Stumpjumper FSR 6Fattie gibt es in 4 Ausstattungsvarianten:

  • STUMPJUMPER FSR COMP 6FATTIE, 13.6 kg   unverb. VK € 3 499
  • STUMPJUMPER FSR COMP CARBON 6FATTIE, 13.4 kg  unverb. VK € 4 799
  • STUMPJUMPER FSR EXPERT 6FATTIE, 13.2 kg unverb. VK € 5 999
  • S-WORKS STUMPJUMPER FSR 6FATTIE, 12.6 kg unverb. VK € 8 999

Das Damenmodell <Rhyme> gibt es in 3 Austattungsvarianten:

  • RHYME FSR COMP 6FATTIE, 13.6 kg unverb. VK € 3 499
  • RHYME FSR COMP CARBON 6FATTIE, 13.4 kg   unverb. VK € 4 799
  • RHYME FSR EXPERT 6FATTIE, 13.2 kg unverb. VK € 5 999

Die Modellbezeichnung Rhyme ist dem Begriff Rhythm entlehnt um anzudeuten welche Gene der "Trail-Queen" eingepflanzt wurden. Um das Traibike rhythmisch tänzelnd zu bewegen, bringt das Rhyme die dafür nötige Veranlagung mit. Die subtilen Unterschiede des Damenmodells verbergen sich in kleinen Details: so sind Kontaktpunkte wie Sattel, Lenker, Griffe, Kurbellänge frauenspezifisch ausgelegt - dito der Dämpfer mit Women’s Rx Trail Tune gepimpt. Desweiteren sind die Federlemente auf das leichtere Fahrergewicht ausgelegt.

(Alle Gewichtsangaben ohne Pedale, mit Schläuchen)

Da der Reifendurchmesser wie Radumfang der 27,5 Plus nahezu identisch zum 29 er sind, wurden beide LR-Größen offiziell freigegeben. 

Rahmengröße Körpergröße Herren Körpergröße Damen (Rhyme)
XS --------------------- 1.46m - 1.59m
S 1.56m - 1.69m 1.56m - 1.69m
M 1.64m - 1.76m 1.66m - 1.79m
L 1.74m - 1.86m --------------------
XL 1.84m - 1.94m --------------------

Fazit

Zugegeben, ein Schnäppchen ist das Specialized Stumpjumper FSR Comp Carbon 6FATTIE nicht gerade, gleichwohl Billigheimer im Premiumsegment wohl kaum zu erwarten sind. Im Hinblick des stimmigen Gesamtpakets mit pfiffigen Detaillösungen, technischen Finessen und stylischem Look erscheint das Preis-Leistungsverhältnis der quirligen Spaßmaschine angemessen. Keine Frage, das 6Fattie im wuchtigen 27.5' Plus-Trimm macht tierisch Laune. Ob verwinkelte oder flowige Trails, Uphill oder Downhill von „rough bis tough“ – das Einsatzspektrum ist so vielfältig wie das Gelände selbst. Breitbeinig giert das potente Allround-Genie in die Turns hinein und lässt sich mühelos durch Kurven zirkeln. Spieltrieb wie Fahrperformance sind überwältigend, die Traktion über alle Zweifel erhaben. Mit wulstigen 3 Zoll Reifen vereint das Trailbike das Best-Off aus drei Gattungswelten: Steifigkeit und Wendigkeit der 650B-Laufräder, Fahrkomfort der Fatbikes und sanftmütiges Überrollverhalten sowie Spurstabilität der 29 er. Das Konzept geht auf, denn jeder der im Sattel saß war förmlich angefixt mit Karacho die Trails hinab zu fräsen und nonchalant Hindernisse platt zu walzen. Der Ober sticht den Unter, d.h. je ruppiger oder glitschiger der Untergrund desto souveräner der Auftritt. Daraus leitet sich die homöopathische Dosis als Strickmuster ab: unbekümmert durch die Botanik glühen bis sich die Balken biegen. Die Maus beißt keinen Faden ab: das ultimative Trailbike ist ein echter Wurf! Destination Trail-Germany

Es bleibt spannend wie sich das Stumpjumper 6Fattie im Vergleich zur Konkurrenz schlagen wird bzw. ob es in hier und da zum Klassenprimus reicht. 

Testbikes

Testbike wurde freundlicherweise bereitgestellt von

Specialized Turbo-Levo-Serie

Mit wendiger Fahrwerksgeometrie und tiefem Schwerpunkt stoßen e-Mountainbikes mit Macht in die zentrale Emotionswelt des Bikens - dem Trail-Terrain - vor. Wir hatten die Gelegenheit, die beiden Specialized Modelle <Turbo Levo FSR Short Travel 29> sowie das <Turbo Levo FSR CE 6Fattie> ausgiebigen Testrides zu unterziehen.