Laufradstandard 27.5' Plus - Das neue Maß der Dinge
Bisweilen tickt in der Bike-Branche die Uhr schneller als so manchem Kunden lieb sein kann. Kaum hat sich das 27,5 Zoll Laufrad-Maß neben den Twenty-Ninern etabliert und den 26 Zoll Pendants den Todesstoß versetzt, rollt schon der nächste Trend ins Haus. Bezeichnungen wie 27,5-Plus, 27,5+, 650B+ oder B+ machen die Runde was bedeutet, dass breitere Reifen von 2.8-3.2 Zoll im Kommen sind. Immerhin zeichnen sich die Pneus maßgeblich für Fahrverhalten, Fahrsicherheit und Fahrdynamik verantwortlich. Eine Reifenaufstandsfläche von wenigen Quadratzentimetern bildet quasi die sensitiven Samtpfoten des Piloten und damit seine am äußersten Punkt liegenden Sensoren. Doch welche Reifengröße verspricht nun insbesondere Trail- und Tourenbikern den Benefit? Bei 5 Laufradgrößen (26', 26' Fatbike, 27.5', 27.5' Plus, 29') kommt man ins Grübeln und frägt sich wie Gerhard Polt: "ja muss des sein, braucht's des"? Schließlich hält ja nicht immer eine Produktneuheit was sie verspricht oder vorzugeben scheint. Handelt es sich beim 27.5' Plus-Format womöglich nur um eine kurzlebige Modeerscheinung, gewieftes Marketing, eierlegende Wollmilchsau? Weder - noch, denn nach ausgiebigen Testfahrten war klar: 27.5' Plus macht für die breite Masse der <Otto-Normal-Trailbiker> Sinn, weil die komfortablen Fahreigenschaften auf ganzer Linie überzeugten. Da Reifenindustrie wie Bikehersteller viel Manpower aufbringen dürfte der "Plus-Reifen-Trend" Fahrt aufnehmen.
Theorie & Praxis sind zwei paar Stiefel
"Nix genaus woaß ma ned" pflegt man in Bayern zu sagen, wenn einem beiläufig was zu Ohren kommt von dem man noch keine Ahnung hat. Infolgedessen brodelt die Gerüchteküche. Spekulationen bzw. Vorurteile schießen ins Kraut, deren Wahrheitsgehalt häufig fragwürdig ist. Ähnlich läuft es in der Bikeszene ab wenn über Neuheiten fachgesimpelt wird, aber keiner der Diskutanten irgendwelche Praxiserfahrungen damit verfügt. Viele fragen sich, ob der "Plus-Bike-Charakter" zu einem passt oder nicht wobei die Antwort von individuellen Faktoren wie z.B. Fahrstil, Einsatzzweck und persönliche Vorlieben abhängen. Einschlägige Bike-Magazine mögen pragmatische Informationen liefern, doch mancher Leser verliert sich im fachchinesischen Technik-Geschwurbel. Auch emotionale Beweggründe spielen bei der Entscheidungsfindung eine Rolle, die mit Rationalität wenig zu tun haben. Um herauszufinden was es mit den Plus-Reifen auf sich hat bzw. ob einem die Fahreigenschaften liegen, der kommt an einer aussgiebigen Testfahrt nicht vorbei. Wer die Probe auf's Exempel macht kann das Für und Wider für sich selbst abwägen. Nach dem Motto "Glauben ist gut - Wissen ist besser" legt der sujektive Fahreindruck unumstößliche Fakten offen. Spätestens dann ist man im Bilde was Sache ist und sitzt nicht womöglich Halbwissen oder geschönten Werbebotschaften auf. Die Entscheidung Pro oder Contra Plus-Bereifung kann nun ruhigen Gewissens getroffen werden - man kauft ja nicht die Katze im Sack. Kein Mensch möchte für sein sauer verdientes Geld eine Fehlentscheidung treffen, zumal die leidenschaftliche Liason mit dem Gefährt in aller Regel über längere Zeit hält.
Auch wir von der Testcrew - allesamt leidenschaftliche Trailbiker - waren gegenüber den unkamperten (klobigen) Reifen nicht ganz unvoreingenommen eingestellt. Doch wie gesagt: Probieren geht über Studieren. Um der Specialized Reifenkombination <Purgatory> und <Ground Control> in der Größe 27.5 x 3.0 auf den Zahn zu fühlen machten wir uns mit dem Specialized Stumpjumper FSR 6Fattie vom Acker. Die schlauchlos-kompatiblen Reifen waren auf 27.5“ Roval Traverse Fattie-Felgen mit einer Innenbreite von 29 mm aufgezogen:
- Specialized Purgatory Control (vorne) 2Bliss Ready 650b+, 27.5 Zoll x 3.0 max. 1.4 bar/20 psi (fahrfertig), max. 2.4 bar / 35 psi (bei Montage); Gewicht ca. 980 g
- Specialized Ground Control (hinten) 2Bliss Ready 650b+, 27.5 Zoll x 3.0 max. 1.4 bar/20 psi (fahrfertig), max. 2.4 bar/35 psi (bei Montage); Gewicht ca. 1045g
Form follows function
Reifen müssen entweder Alleskönner-Mentalitäten besitzen und/oder speziellen Ansprüchen wie z.B. Race, Marathon, Tour, Trail etc. Genüge tun. So legen z.B. Trail- und Tourenbiker großen Wert auf verlässliche Allround-Performance. Für Reifenhersteller alles andere als einfach den bestmöglichen Kompromiss für den breitbandigen Einsatzzweck zu finden, zumal gebündelte Eigenschaften schlecherdings in Zielkonkurrenz (Pro&Contra) zueinander stehen. Man denke nur an Leichtgewicht und Pannensicherheit, oder geringer Rollwiderstand bei gleichzeitig gutem Kurvengrip oder Verschleiß/Laufleistung und Rollwiderstand. Aus gutem Grund haben sich deshalb Reifenkombinationen durchgesetzt, bei denen Vorder- und Hinterreifen ihren jeweiligen Anforderungen effektiver gerecht werden. So senkt das fein gerippte Antriebsrad mit härterer Gummimischung den Rollwiderstand, während an der Front eine weichere Gummimischung und gröbere Reifenstollen für besseren Kurvengrip und höhere (Brems-) Traktion sorgt.
Um allgemeingültige Aussagekraft über das Fahrverhalten der Reifen zu erhalten, wurden Wald- Wiesen- Schotterstrecken sowie flowige bis hin zu schroff ausgesetzten Trails im Bayerischen Wald, dem Fichtelgebirge und der oberbayerischen Alpenregion unter die Stollen genommen. Die erste faustdicke Überraschung war, dass die wulstigen "XL-Brummer" nicht mit gewöhnungsbedürftigen Eigenheiten - wie sie z.B. Fatbikes aufweisen - nervten. Auch wenn der Breitreifen-Trend mit einer Vielzahl an Parametern behaftet ist und bestimmt noch Entwicklungspotential bietet, lässt sich nach heutigem Stand bilanzieren: Plus-Reifen sind kein Mode-Schnickschnack sondern eine Neuheit die schlicht und ergreifend bisher am Markt fehlte. Genau genommen handelt es sich aber nicht mal um eine Neuheit, weil es schon früher breite Reifen und breite Felgen gab. So gesehen holt uns die Vergangenheit wieder ein. Damals viel der aussichtsreiche Trend dem Effizienz- und Gewichtsdiktat zum Opfer. Da halfen alle Vorzüge nichts - sie verschwanden sang und klanglos wieder aus den Verkaufsregalen. Gewichtsfetischismus hin oder her - nun haben sich die Entwickler der Komfortwalzen aus früheren Zeiten wieder besonnen. Und schwupp di wupp gibt's ein Revival, das Breit wieder en voque macht. Die Steilvorlage lieferten hierfür die Fatbikes. Eigentlich kein großes Geheimnis, dass die Bereifung immens Einfluß auf die Fahreigenschaften eines Bikes hat. Bestes Beispiel sind die ungefederten Fatbike-Monster, die trotz Starrgabel genügend Eigendämpfung aus ihren 4.0 - 4.8 Zoll Riesenschlappen schöpfen. Merkwürdig nur, wieso Ingenieure und Konstrukteure erst jetzt auf den Trichter kamen, das Vorteilspaket in abgespeckter Dimension auch Suspension-Bikes angedeihen zu lassen. Mit dem erfreulichen Ergebnis, dass das 6Fattie vom Stand weg zur ultimativen Allzweckwaffe mutiert.
Nach gut 1 000 Testkilometer war die Grundsatzfrage nach Sinn und Zweck der "Mittelmaß-Walzen" (bezieht sich auf das Breitemaß, das zwischen klassischer- MTB- und Fatbike-Bereifung rangiert) geklärt. Das Plus-Reifen-Konzept geht auf, da sie Vorteile der Fatbikes bündeln ohne dessen Nachteile in Bezug zur Touren- und Trailtauglichkeit zu übernehmen. Inwieweit sich die sujektiven Fahreindrücke durch Labormessungen bestätigen, bleibt künftigen Prüfstandsversuchen abzuwarten. Understatement schaut anders aus, denn unscheinbar kommt man im 27.5 Plus-Trimm nicht gerade daher. Weniger die Reifenbreite als vielmehr die voluminöse Form - bedingt durch die Reifenbauhöhe auf breiteren Felgen - schinden Eindruck. Als Fahrer entgeht einem die Blickrichtung entgegen kommender Wanderer nicht. Die hervorstechende Optik scheint so auffällig zu wirken, dass verwunderte Blicke wie magnetisiert die breiten Walzen fixieren bevor der Fahrer eines Blickes gewürdigt wird. Der ungewohnte Anblick mag nebensächlich erscheinen, zumal die Formel dem Grundsatz "Form follows function" folgt. Anders formuliert: neben der aufsehenerregenden Optik schlummern in den "aufgeplusterten" Reifen" ungeahnte Fähigkeiten.
Slim / Fat / Semi-Fat - die goldene Mitte macht den Unterschied
Was sich in den letzten Jahren beim Laufraddurchmesser zwischen 26 und 29 Zoll auf das goldene Mittelmaß von 27.5 Zoll eingepegelt hat, findet nun in der Weiterentwicklung der <Plus-Reifen> seine Fortsetzung. Auf den Punkt gebracht geht es beim 27.5 Plus Format darum, aus der Substanz von Durchmesser und Reifenbreite den bestmöglichen Kompromiss zu erzielen. Plus-Reifen variieren je nach Hersteller von 2.8 bis 3.2 Zoll. Die neue Größendimension soll schlicht und ergreifend die Vorzüge von Fat- und Slim- Reifen in sich vereinen. Hört sich simpel an, ist es aber mitnichten. Das komplizierte Zusammenspiel vieler sich gegenseitig beeinflussender Faktoren macht die Entwicklung äußerst komplex. Die konstruktive Herausforderung lag darin, negative Einflüsse wie erhöhter Rollwiderstand, trägere Beschleunigung, teigiges Fahrverhalten und ungünstigen Q-Faktor - welche den Fatbikes anhaften - weitestgehend zu eliminieren. Entgegen irriger Meinung handelt es sich um kein neues Laufradmaß (27.5) sondern das Namenskürzel "Plus" (+) beschreibt nur die gewachsene Reifenbreite bis zu 3.25'.
Bauliche Anpassungen
Die Verwendung von Breitreifen bedarf bauartspezifischer Veränderungen, d.h. ein Bike muss ein auf die Laufradgröße abgestimmtes Gesamtkonzept verfügen. Dazu gehören z.B. Rahmengeometrie, Felgen und Gabel die auf "Plus-Ready" umgeswitscht werden. Angefangen von breiteren Felgen, ohne die der Plus-Reifen zu wenig Stabilität und Seitenhalt hätte bzw. ein störendes Walkverhalten entwickeln würde. Monatelang tüftelte Roval mit Felgen-Prototypen bis zu 45 mm Innenweite herum, um den vielversprechensten Kompromiss zwischen Felgenbreite und Gewicht zu finden. Am Ende stand fest, dass die Steigerung des Innenmaßes von 22 mm auf 30 mm den größten Zuwachs an Traktion und Kontrolle versprach, ohne das Gewicht über Gebühr in die Höhe zu treiben. Anders bei noch breiteren Felgen, deren Mehrgewicht nicht mehr im Verhältnis zur Traktion, Grip und Komfort stand.
Das größere Reifen- und Felgenmaß benötigt wiederum breitere Rahmendurchlässe und Federgabeln. Ergo braucht es längere Steckachsen (neuer Boost-Standard) um die erforderliche Reifenfreiheit sicherzustellen. Vorteil: die Felgenflansche wandern nach außen, die Seitensteifigkeit der Laufräder nimmt zu.
Laufradmaß- und Reifengrößen-Tabelle
Bezeichnung | Felgen-Außendurchmesser | Reifenbreite | Reifendurchmesser | Radumfang |
---|---|---|---|---|
26' | 559 mm | 2.25' | 675 mm | 2 120 mm |
27.5'/650B | 584 mm | 2.25' | 699 mm | 2 215 mm |
29' | 622 mm | 2.25' | 736 mm | 2 330 mm |
26' Fatbike | 559 mm | 4.0' | 762 mm | 2 410 mm |
27.5 Plus | 584 mm | 3.0' | 736 mm | 2 330 mm |
Boost-Standard
Der neue Boost/Plus-Standard schafft mit breiteren Steckachsen Freiraum für Reifen bis zu 3.25 Zoll Breite. Die Achslänge steigt von 142 x 12 mm auf 148 x 12 mm (hinten) bzw. 100 x 15 mm auf 110 x 15 mm vorne, was die Steifigkeit der Laufräder erhöht. Dem Boost sind wegen des Q-Faktors (seitlicher Abstand der Tretkurbeln zueinander) biometrische Grenzen gesetzt.
Versuche, klassische 27.5' bzw. 29' Bikes auf 27.5 Plus umzubauen sind i.d.R. problematisch, da keine absolute Felgen-/ Reifen-Kompatibilität besteht. Bikes mit schmälerem Boost-Standard mit einem Semi-Fattie-Zweitlaufradsatz zu bestücken klappt nur unter der Bedingung, wenn der Platz an den Engstellen der Sitz- Kettenstreben, Umwerfer und der Federgabel ausreicht. Selbst wenn das funktioniert könnte trotzdem noch der Schuh am Reifen schleifen - auch dann wärs vorbei mit der Herrlichkeit voluminöser Reifen. Außerdem entfalten die fetten Schlappen ihr Potenzial nur dann vollumfänglich, wenn sie mit der Felgeninnenbreite harmonieren. Vom bloßen Reifenwechsel auf eine "ungeeignete" Felge ist grundsätzlich abzuraten. Weiteres Problem: da die Kettenlinie etwa 3 mm nach außen wandert, erfordert eine Umrüstung zudem spezielle Naben, Kurbeln und Spider. Alles in allem ein umständliches Gedöns, das einem die Lust für Umbaumaßnahmen raubt.
Den Ausschlag für die Entwicklung der "halbfetten Magerstufe" gaben die Fatbikes. Ob die "Plus-Idee" auch auf größere/kleinere Reifendurchmesser 29+ bzw. 26+ ausgedehnt wird bleibt abzuwarten. Ebensowenig ist gegenwärtig absehbar, ob der neue Boost-Standard künftig auf andere LR-Größen ausgedehnt wird.
Welche Reifen- und Felgenbreiten sich etablieren werden wird die Zukunft zeigen. An Optionen und Entwicklungspotential mangelt es jedenfalls nicht. Ob das Pendel zu Reifenbreiten bis zu 3.2“ und Lufdrücken um 1 bar oder 2.8“-Reifen auf bis zu 45 mm breiten Felgen (Innenmaß) und Luftdrücken um die 1.5 bar ausschlägt wird letztlich auch die Marktnachfrage mit entscheiden. Statement Roval: nach einem Jahr andauernden Fahr- und Prüfstandtests kam man zu folgendem Ergebnis: breitere Felgen lassen Reifen bei derselben Kraft weniger ausweichen was bedeutet, dass die Felge den Reifen aktiv unterstützt und ihn deswegen weniger verwinden lässt. Wie stark die Funktionalität des Reifens von der Felgenbreite abhängt zeigt sich z.B. darin, dass erst die verbesserte Reifenabstützung geringere Luftdrücke erlaubt, auf dessen sich der Komfortgewinn und bessere Grip stützt. Entwicklern stehen derart viele Stellschrauben mit Parametern und Variablen zur Verfügung, dass uns dieses Thema ganz bestimmt noch lange in Atem halten wird.
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Laufradstandard 27.5' Plus
Im Prinzip beschreibt die Bezeichnung 27,5“+ keine neue Laufradgröße sondern viel mehr ein neues Breitenmaß. Der Felgendurchmesser bzw. Reifeninnendurchmesser entspricht 27,5“ (650B): 584 mm nach ETRTO-Maß (European Tyre an Rim Technical Organsiation). Doch Felge und Reifen fallen breiter aus als beim herkömmlichen 27.5“. Die Felgenmaulweite (Außenmaß) liegt zwischen 40- 50 mm und die für 2016 erhältlichen 27,5“ Plus Reifen weisen eine Dimension von 2.8 - 3,0 Zoll auf. Im Außendurchmesser erreichen Reifen mit 27,5“+ ca. 736 mm was einem 29“-Reifen in 2,25 Zoll nahe kommt. 27,5“+ Reifen bauen demzufolge zwar ähnlich hoch, fallen aber breiter aus. Eine einheitliche Bezeichnung für die Bereifung gibt es nicht. Neben 27,5“+ geistern auch Begriffe wie B+, 650B Plus, Mid- Semi- oder Six-Fat durch die Presse. Die Kalifornier tauften die voluminösen 3″-Reifen in ihren Specialized Stumpjumper-Modellen auf den griffigen Namen 6FATTIE.
Fahreigenschaften
In Kombination aus geringerem Luftdruck, größerer Aufstandsfläche und einem Außendurchmesser ähnlich der 29 er läuft der Plus-Reifen in Punkto Überrollverhalten von Hindernissen den TwentyNinern sogar den Rang ab. Neben flacherem Aufprallwinkel über knochige Wurzelteppiche, Absätze, Querrinnen und Gesteinsbrocken unterstützt das enorme Dämpfungsverhalten der Reifen smoothe Fahreigenschaften. Ein Umstand der dem niedrigen Luftdruck und vergrößerten Luftvolumen zu verdanken ist. Selbst gröbere Unebenheiten werden damit im Handumdrehen geschmeidig glatt gebügelt. Der Clou: das größere Luftvolumen der Reifen absorbiert Vibrationen und hochfrequente Schläge bevor die Federelemente ansprechen. Die feinfühlige Eigendämpfung beeinflusst die Fahrperformance nicht unwesentlich, wobei sich der Effekt je nach Fahrstil und Terrain unterschiedlich bemerkbar macht.
Trotz alledem ist das Reifenvolumen nur die halbe Miete, denn erst der größere Felgenhorn-Abstand von 30 - 45 mm (Standard 19 bis 25 mm) erlaubt Reifenluftdrücke von 0,8 bar, ohne dass die Reifen in Kurven wegknicken.
Schon fast ein wenig naiv zu glauben, die weichen Traktionswunder mir nichts dir nichts ans Limit peitschen zu können. Zumindest im Trockenen braucht es eine irrsinns Überwindung, die Reifen absichtlich ins Rutschen bzw. das Vorderrad zum Blockieren zu bringen. Derartige Versuche schlugen fehl, weil der gesunde Menschenverstand dazwischen funkte. Auf der anderen Seite ist es gut zu wissen über welch unglaubliche Haftgrenzen bei gleichzeitiger Kontrollierbarkeit die anschmiegsamen Reifen-Aufstandsflächen tatsächlich verfügen. Die Seitenstollen bieten genügend Halt, d.h. die anschmiegsamen Reifen verlieren selbst bei radikalsten Fahrmanövern in Kurven bzw. bei Seitenhangneigung kaum ihre Bodenhaftung. Genauso wenig gibt der Geradeauslauf bzw. Einlenkverhalten Anlass zur Kritik. Dank dieser sanftmütigen und berechenbaren Fahreigenschaften kommt der Fahrer nicht nur sicherer sondern auch entspannter am Ziel an.
Das Purgatory- und Ground Control- Pärchen sind echte Allrounder. Vom gutmütigen Fahrverhalten profitieren in erheblichem Maß auch ungeübtere Biker. Überhaupt gleicht ausgereifte Fahrwerkstechnik moderner Mountainbikes fahrerische Defizite zumindest teilweise aus, wodurch schwierigeres Terrain schneller beherrschbarer wird. Die Semi-Fatties setzen noch eins oben drauf, indem ihr sattes Traktionsvermögen und fehlerverzeihender Charakter ein beruhigendes Gefühl von Sicherheit und Souveränität erzeugen. Ein Umstand der Einsteiger ratz fatz zum Umsteiger werden lässt und sie zum raschen Wechsel von langweiligen Waldautobahnen in die faszinierende Welt der Singletrails animiert. Gute Traktion steigert gleichsam die Kontrolle. Alles im Griff zu haben und Herr der Lage zu sein stärkt unumwunden das Selbstvertrauen. Kein Wunder wenn Hemmschwellen vor neuralgischen Stellen schwinden und scheinbar unüberwindbare Barrieren ihren Schrecken verlieren. Urplötzlich findet man an Technikpassagen Gefallen, von denen man sich zuvor respektvoll zurück hielt. Lange Rede kurzer Sinn: auf Semi-Fatties traut man sich nach kürzer Zeit fahrtechnisch einfach mehr zu. Das beste an der Gschicht: es funktioniert, d.h. die Erfolgserlebnisse lassen nicht lange auf sich warten.
Bleibt festzuhalten, dass Plus-Reifen durch ihre überschwängliches Traktionsvermögen und beherrschbarem Grenzbereich definitiv weniger Lenkpräzision verlangen, d.h. eine saubere Fahrlinie bzw. Hindernisse im bestmöglichen Winkel zu überwinden ist nicht mehr so wichtig. Besonders auf ruppigem, aufgeweichtem, schlammigem Untergrund macht sich das enorme Traktions- und Gripverhalten bezahlt. Nicht einmal Nose-Wheelies sind auf losem Schotter ein sonderlicher Act. Unterm Strich wird also weniger Konzentration abverlangt mit der Folge, dass unangestrengtes Fahren die kognitive Leistungsfähigkeit auch in heiklen Passagen nicht ausreizt. Das Sturzrisiko sinkt und wertvolle Energien werden eingespart wodurch der Ermüdungsprozess hinaus gezögert wird.
Bissig zupackende Bremsen ist das eine, Bremskräfte kontrolliert auf den Boden zu bringen das andere. Besonders das Nassbremsverhalten ist der Hammer, weil der <Purgatory> selbst bei Brachialbremsungen in der Spur bleibt. Gerade bei schärferen Bremsmanövern macht sich der niedrige Reifenluftdruck und die höhere Aufstandsfläche bezahlt, weil sie höhere Bremskräfte übertragen ohne dass das Rad unkontrolliert ausbricht. Da besserer Grip mit höherer Bremskraftübertragung ergo stärkerer Bremswirkung einhergeht, verkürzt sich dementsprechend der Bremsweg. Wenn's in kritischen Situationen drauf ankommt vermag das Sicherheitsplus einem womöglich aus der Patsche helfen. Nichts ist sturzgefährdender als bei Bremsmanövern die Kontrolle zu verlieren oder wegen mangelnder Bremsverzögerung über das Ziel hinaus zu schießen.
Die 27.5 Plus - Zielgruppe
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Plus-Reifen richten sich an Trail- und Tourenbiker denen Grip, Traktion, Fahrkomfort und Sicherheit wichtiger sind als rasiermesserscharfes Fahrverhalten, explosives Beschleunigungsvermögen bzw. racelastige Spritzigkeit. Gerade Fahrer deren Fahrtechnik unterdurchschnittlich ausgeprägt ist kommt das sanftmütige Fahrverhalten entgegen, da die Reifen "narrensicher" zu steuern sind und Hindernisse mit einer bislang nicht gekannten Leichtigkeit überwunden werden. Vom fehlerverzeihenden Charakter profitiert man in jeder Fahrsitutation was unterschwellig im Kopf mitschwingt. Dadurch frei geschaufelte kognitive Kapazitäten stehen vermehrt dem Fahrspaß und der Wahrnehmung der Natur zur Verfügung. Die Fragen des eigenen Fahrstils und Fahrkönnens, persönliche Vorlieben sowie Einsatzzweck muss jeder für sich selbst beantworten. Daraus ergibt sich, ob die Plus-Reifen zu einem passen oder eher nicht.
Auf trockenen harten Böden fällt der Unterschied zu schmäleren Pneus weniger auf. Sobald es aber rutschig wird oder derbe Hindernisse sich in den Weg stellen, fühlen sich die Reifenmonster in ihrem Element. Saisonal gesehen profitiert man vom Potential der Breitreifen am meisten in den feuchtnassen Herbst- und Wintermonaten. Überhaupt hat sich der Mountainbike Sport gewandelt, indem sich der Massentrend sich zunehmend zum Ganzjahressport entwickelt. Einerseits fördern milde Temperaturen und schneearme Winter jedwede Outdoor-Aktivitäten. Andererseits tut atmungsaktive Thermokleidung und immer ausgefeiltere Reifen- und Fahrwerkstechnik ihr übriges. Mit dem 27.5 Plus-Laufradstandard gelingt nun ein weiterer Quantensprung. Speziell bei rutschig-glatten Bodenverhältnissen rollt der Biker mit niedrigerem Puls entspannter dahin, als um Balance kämpfende Schmalspuraspiranten. Mit komfortabler "Winterbereifung" im XL-Format durch's Gelände zu düsen bereitet natürlich tierisch Spaß. Ein souveränes Fahrgefühl das auf Schnee, Schlamm und Matsch seinen Höhepunkt findet.
Fassen wir zusammen: wegen nahezu identischer LR-Außendurchmesser von 27.5+' und 29' liegt der maßgebliche Unterschied nicht in der Größe sondern in der Breite der Reifen. Da Plus-Reifen mit fast der Hälfte Luftdruck herkömmlicher MTB-Reifen auskommen, dennoch aber mehr Luftvolumen (2-3 Liter gegenüber 27.5' Reifen) verfügen, liegen die Vorteile auf der Hand. Eine über 30 % größere Reifenaufstandsfläche (gegenüber 2.25', 2.0 bar) bedingt ein wesentlich besseres Traktion- Grip- und Überrollverhalten. Nicht wirklich überraschend, schließlich verformt sich ein großvolumiger Reifen mit geringerem Luftdruck stärker als ein kleinvolumiger Reifen mit höherem Luftdruck.
Der Bewegungsfluss
Die Reifenaufstandsfläche von wenigen Quadratzentimetern sind gleichsam die sensitiven Samtpfoten des Bikers und damit seine am äußersten Punkt liegenden Sensoren. Vorder- wie Hinterrad vermitteln permanent über Lenker, Pedale und Sattel Fahrzustände wie Grip, Traktion an Hände, Füße und Gesäß, dessen Informationen über Nervenbahnen ans Gehirn weitergeleitet werden. Interaktiv werden in Sekundenbruchteilen Körperschwerpunkt, Bremsdosierung, Lenkeinschlag und Körperspannung bestimmt, um das Gesamtsystem Körper & Bike in Balance – sprich auf Spur zu halten. Ständiges Auf und Ab erfordert zwar hohes Kraftniveau, dennoch ist es kein reiner Kraftsport, weil zu viel Krafteinsatz bzw. Verkrampfung (falsche Körperspannung) den gleitenden Bewegungsfluss unterbrechen würde.
Mountainbiking als Ganzjahressport
Bikefreundlich gebährt sich die kalt-nasse, dunkle Jahreszeit ja nicht unbedingt, wenn einem Schnee, Regen, Eiseskälte, Nebel und modrige Bodenverhältnisse die Lust am Biken madig machen. Trotz alledem entwickelt sich der Mountainbike Sport zunehmend zum Ganzjahressport. Das veränderte Freizeitverhalten hat verschiedene Ursachen. Milde Temperaturen und schneearme Winter entfachen grundsätzlich die Lust auf Outdooraktivitäten. Desweiteren lassen atmungsaktive Thermokleidung und High-Tech-Fahrwerke sowieso keine Ausreden mehr gelten - sofern man nicht als Weichei abgestempelt werden möchte. Und nun setzt der 27.5 Plus-Laufradstandard eins oben drauf, weil die komfortable "Winterbereifung" im XL-Format auf glattem, schlüpfrigem Boden ein unorstellbares Sicherheitsgefühl vermittelt. Nicht nur eingefleischte Mountainbiker sondern auch Rennradler, die dem Crossen oder Biken als Ausgleichssport z.B. in der Winter- Saison zugeneigt sind wird damit der Zugang ins unwegsame Gelände wesentlich erleichtert. Gerade wenn es an der nötigen Fahrtechnik hapert, sind überschwängliche Traktion, Grip und Komfort Gold wert. Ganz zu schweigen von durchweichten Böden, wo die "Luftikus-Schlappen" ihr Potential ausspielen und der "Teerschneider-Konkurrenz" ihre Grenzen aufzeigen.
Geringe Luftdruckänderung - große Wirkung
Zweifellos haben Plus-Reifen im Allgemeinen und deren Luftdruck im Besonderen auf die Performance des Mountainbikes mehr Einfluss als schmälere Reifen. Da Plus-Reifen grundsätzlich mit geringeren Luftdrücken gefahren werden, bewirken marginale Änderungen stärkere Auswirkungen auf das Fahrverhalten als bei dünneren Reifen. Die großvolumigen Reifen reagieren sehr sensibel auf Änderung des Luftdrucks, d.h. ihre positiven Fahreigenschaften entfalten sie nur bei entsprechendem Luftdruck. Im Hinblick des Körpergewichts, Fahrweise und Einsatzzweck ist das Fahrwerkssetup und Reifenluftdruck (0.8 bis 1.2 bar, max. 1.4 bar) individuell abzustimmen. Gute Erfahrungen machten wir auf vorwiegend mittelschweren (Wurzel-) Trails mit 1.0 bar im Purgatory (14.50 psi) und 1.2 bar (17.4 psi) im Ground Control (Körpergewicht 70-80 kg), Ein Kompromiss, der auf weite Strecken prima mit dem Druckstufendämpfungs-Setting des Specialized-Fahrwerks harmonierte.
Auch wenn breite Reifen die Performance im Vgl. zu schmäleren Reifen überproportional verändern, monierte kein Fahrer den vom Fatbike her bekannten "Self-Steering-Effekt" (durch Geradeauslaufneigung verursachter Einlenk-Kraftmehraufwand). Ebenso wenig war Bouncing (luftdruckabhängiges Reifen-Hüpfen) feststellbar, vorausgesetzt der vom Hersteller angegebene Maximal-Luftdruck wird nicht überschritten.
Bei zu geringem Luftdruck verformt sich der Reifen bevor das Fahrwerk seiner Funktion gerecht wird und die Belastungsspitzen aufnimmt. Forciertes Kurventempo quittieren die Plus-Rundlinge dann mit schwammigem Fahrgefühl was Grenzbereiche undefinierbarer macht. Wird dagegen mit zu viel Luftdruck gefahren, neigt der Reifen bei höherer Geschwindigkeit zum Aufschaukeln und Springen (Gummiball-Effekt).
Tubeless Ready
Tubeless Ready Montage ist nicht nur wegen des Gewichtsvorteils (ca. 350 g je LR-Satz) und dem geringeren Rollwiderstand aufgrund verminderter Walkkräfte dringend empfehlenswert. Bei niedrigen Luftdrücken von 0.8 - 1.2 bar neigen die gewichtsoptimierten Karkassen speziell auf scarfkantigem Gestein zu Durchschlägen. Zum Felgendurchschlag kommt es, wenn der Schlauch zwischen Felgenhörner und Reifenkarkasse eingequetscht wird. Der Lochabstand ist etwa so groß wie der Abstand der beiden Felgenhörner zueinander - ähnlich eines Schlangenbisses. Tubeless Ready-Umrüstkit: doppelseitiges Klebeband, Felgenband, Tubeless-Ventil, Tubeless-Milch.
Specialized Roval Traverse SL Fattie 650b Carbon-Laufradsatz sind mit dem Roval “Tubeless Plugs” (Schlauchlos-Stöpsel) kompatibel. Sogenannte Kunststoffnippel mit O-Ring werden in die Öffnungen der Speichennippel in die Felgen hinein gesetzt (Gewichtsersparnis gegenüber der konventionellen Methode mit Felgenband: 45 g je LR-Satz).
Die Mär vom hohen Luftdruck schmaler Reifen
Dass Reifenbreite, Luftdruck und Reifenmodell auf den Rollwiderstand Einfluss haben, dürfte so ziemlich jedem geläufig sein. Trotzdem kursieren Spekulationen die fern der Realität liegen. Zum Beispiel, dass hoher Luftdruck in schmalen Reifen angeblich den Rollwiderstand reduzieren soll. Auf der Straße mag es zutreffend sein - im Gelände definitiv nicht. Diese Mär hält sich dennoch hartnäckig, weshalb Trennscheiben mit Luftdrücken über 2 bar keine Seltenheit sind.
Abgesehen von Traktion und Grip ist das Energieeinsparpotenzial der Reifen enorm, da allein der Rollwiderstand im Gelände zur Fortbewegung über 50 % der Gesamtleistung aufzehrt. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit herauszufinden welche Reifenmarke, Reifenmodell, Reifenprofil, Breite und Luftdruck für welches Einsatzgebiet den größtmöglichen Nutzen verspricht. Keine Frage, die gegenseitig beeinflussenden Parameter sind eine Wissenschaft für sich. Sportwissenschaftler Peter Nilges betrat mit seiner Diplomarbeit - die Rollwiderstandsleistung auf unterschiedlichen Untergründen empirisch zu untersuchen - absolutes Neuland. Sein Fazit gilt damals wie heute: „Biker müssen beim Thema Reifen, reifenbreite und Luftdruck gründlich umdenken. Der Artikel des Mountainbike-Magazins <Alles über Rollwiderstand> steigt in das Thema tiefer ein. Es geht dort zwar nicht explizit um Plus-Bereifung - die technischen Neuerungen gab es 2004 noch nicht - doch die aufschlussreichen Zusammenhänge und physikalischen Gesetzmäßigkeiten gelten früher wie heute.
Auf einer ansteigenden Versuchsstrecke mit unterschiedlicher Bodenstruktur wurden damals die Rollwiderstände mit einer präzisen SRM-Kurbel zur Leistungsmessung aufgezeichnet. Jede Bodenunebenheit benötigt einen Teil der Antriebsleistung, um den Reifen über Hindernisse zu lupfen (Hubarbeit). Reifen mit niedrigem Reifenluftdruck sind deshalb im Vorteil, weil sie sich den Unebenheiten besser anpassen - ergo weniger Hubarbeit erfordert. Wie Nilges nachwies wird sinkt der Rollwiderstand 20 Watt Energieersparnis) wenn der Luftdruck von 4,0 auf 1,5 bar abgesenkt wird. Ganz zu schweigen vom besseren Fahrkomfort sorgt effizienterer Bodenkontakt für verminderten Schlupf und somit für verbesserte Traktion.
Während auf Asphalt keine nennenswerte Unterschiede zwischen breiten und schmalen Reifen feststellbar waren (bezieht sich nicht auf 3.0 Zoll) kamen im Gelände völlig andere Messergebnisse heraus. Grundsatz: breite Reifen rollen nachweislich leichter als schmälere Reifen, und je rauer der Untergrund, umso größer der Vorteil. Gegenüber dem breitesten Reifen im Testfeld (2,4 Zoll) mit nur 1,5 bar im Vergleich zum 2,1-Zöller mit 4,0 bar Luftdruck werden sage und schreibe bis zu 50 Watt durchschnittlich eingespart (abhängig vom Untergrund).
Vielleicht macht sich in naher Zukunft ein findiger Geist bzw. Fachmagazin an die Arbeit und testet das neue Reifenmaß, um Fakten über die Niedrigdruck-Plus-Bereifung und Vergleichswerte unterschiedlicher Fabrikate zu erhalten.
Unsachgemäße Testbedingungen: werden Reifen auf nicht dafür vorgesehene Originalflelgen montiert (breiteres / schmäleres Innenmaß) leidet die gesamte Fahrperformance, was i.d.R. die Fahreigenschaften verschlechtert.
Nachteile der 27.5' Plus-Reifen
Abstriche der Plus-Reifen sind auf Asphalt und befestigten Wegen (erhöhter Rollwiderstand) sowie sowie der Massenträgheit wegen (Vorder +Hinteradreifen bringen ca. 2025 g auf die Waage, zzgl. schwerere LR) beim Beschleunigen und steileren Schotterauffahrten in Kauf zu nehmen. Wer auf letzter Rille Bestzeiten hinterher jagt und sich ein glasklares definierbares Feedback über Lenk- und Fahrverhalten wünscht (z.B. CC-Rennen) wird mit Plus Bereifung weniger glücklich. Denn je schneller und härter der Untergrund desto indirekter werden Lenkimpulse umgesetzt. Wird ein höheres Tempo z.B. auf Forst- Schotter- oder Radwegen angeschlagen ist zwangsläufig eine höhere Wattleistung zu erbringen als mit schmäleren, härteren Pendants.
Die Massenträgheit der Laufräder bringt es mit sich, dass ihnen weitere (flowige) Kurvenradien besser liegen als enge, haklige Turns bzw. Serpentinen. Zwischensprints kosten Körner weil höhere Beschleunigungskräfte aufzubringen sind als bei konventioneller Bereifung.
Was speziell auf losen Schotterabfahrten unangenehm auffiel: die große Aufstandsfläche neigt bei höherem Speed zum Aufschwimmen, worunter das Kontrollgefühl leidet. Grundsätzlich schwindet bei höherer (Race-) Geschwindigkeit die augenblickliche Zustands-Rückmeldung mit der Folge, dass das gefühlsmäßige Handling undefinierbarer wird und die Fahrpräzision darunter leidet. Aber wie gesagt: dies betrifft eigentlich nur den Geschwindigkeitsbereich von Racern, denn in "normaler" Durchschnittsgeschwindigkeit spielen die "Mobby-Dick-Reifen" ihre Überlegenheit aus.
Bei sehr radikaler Fahrweise durch Anlieger oder starken Kompressionen kann der Reifen zu walken beginnen. Eine Eigenart, die dem geringen Luftdruck geschuldet ist, weswegen mehr Luft bis zu einem gewissen Grad Abhilfe schaffen kann. Die benötigte Kraft für das Walken des Reifens ist eine Komponente des Rollwiderstandes und wirkt der Antriebskraft entgegen.
Nachteile im Überblick:
- schwerere Plus-Reifen/LR steigern die Massenträgheit; je nach Reifentyp, Schlauch/Milch beträgt der Gewichtsunterschied im Vergleich zu 27.5' zwischen 25-50%
- dem Reifengewicht zuliebe sind die Karkassen rel. dünn, was die Pannenanfälligkeit (Durchschläge) bei niedrigem Luftdruck erhöht
- erhöhter Rollwiderstand auf hartem Untergrund (Asphalt, Forst- u. Schotterwege)
- eingeschränkte Kompatibilität für TwentyNiner
- für Renneinsätze ungeeignet
- höhere Rotationskraft (trägere Beschleunigung)
- höheres LR-Systemgewicht reduziert das Handling in engen Kurven/Kehren
- bei höheren Geschwindigkeiten unpräzises Lenkverhalten
- Walktendenz bei radikaler Fahrweise durch Anlieger/Kompressionen
Fazit
Der neue Laufrad-Standard begründet per se sicher keine Neuanschaffung eines 27.5' Plus-Mountainbikes. Doch wer ohnehin Kaufabsichten hegt ist nicht falsch beraten den richtungsweisenden Trend als ernsthafte Option in Betracht zu ziehen. Die Specialized-Plus-Kombi mit dem <Purgatory> und <Ground Control> erwies sich für breitbandige Einsatzzwecke als überaus gelungen. Überhaupt ist der "Plus-Trend" ein stückweit als Entschleunigung zu begreifen, die sprichwörtlich die Luft von Schnelllebigkeit, Stress und Challenge rausnimmt und den grammgeizbefreiten Fahrspaß und Naturgenuss ins Zentrum des Hobbys stellt. Raus aus dem Hamsterrad, back to the roots, so kann man das "Downsizing" der Genusswalzen durchaus begreifen. Wir konnten uns selbst überzeugen wie klasse das Optimum aus Fat- und Slim- Reifen funktioniert und keineswegs nur der grauen Theorie entspringt. Das Ziel aus der Essenz von Laufrad-Durchmesser, Felgen- und Reifenbreite den bestmöglichen Kompromiss zu finden ist definitiv gelungen. Wer aus Spaß an der Freud gern mit dem Gelände spielt, Wert auf Sicherheit, Komfort, Laufruhe und Traktion legt und nicht im Wettkampfmodus die Flucht nach vorn antritt, hat mit der gutmütigen XL-Besohlung seine wahre Freude.